Verkehrskollaps in China: Als ein Stau 12 Tage dauerte
Einleitung: Boomende Automobilindustrie – wachsende Probleme
China ist längst nicht mehr nur das „Werkbank der Welt“, sondern auch einer der größten Automobilmärkte weltweit. Millionen neuer Fahrzeuge rollen jährlich auf chinesische Straßen. Doch mit dem wirtschaftlichen Aufschwung kam auch eine Schattenseite: massive Verkehrsprobleme, chronische Überlastung der Infrastruktur – und im Extremfall: ein Stau, der zwölf Tage lang andauerte.

Chinas Automarkt: Wachstum ohne Grenzen?
Der chinesische Automarkt verzeichnet seit Jahren zweistellige Wachstumsraten. Im Jahr 2020 wurden rund 2,375 Millionen Pkw verkauft – ein Plus von 7,2 % gegenüber dem Vorjahr. Auch der Absatz von Nutzfahrzeugen stieg auf über 500.000 Einheiten.
Was wirtschaftlich erfreulich klingt, stellt Städteplaner und Verkehrsbehörden vor gewaltige Herausforderungen. Die Zahl der Fahrzeuge überfordert vielerorts die Infrastruktur – und Maßnahmen wie Autofahrbeschränkungen oder Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zeigen bisher kaum Wirkung.
Der Mega-Stau von 2010: 12 Tage Ausnahmezustand
Der Auslöser: Eine Autobahn, zu viele Lkw – und Baustellen
Im August 2010 erreichte Chinas Verkehrsproblem einen traurigen Höhepunkt: Auf der Autobahn Peking–Tibet staute sich der Verkehr auf über 100 Kilometern – für ganze zwölf Tage. Die Ursache: Tausende Lastwagen, die Kohle und Baumaterialien in Richtung Peking transportierten, blockierten die Strecke. Ironischerweise entstanden die Verkehrsprobleme durch Bauarbeiten, die eigentlich den Verkehrsfluss verbessern sollten.
Stillstand auf ganzer Linie
In einigen Bereichen bewegten sich Fahrzeuge kaum schneller als 3 Kilometer pro Tag. An manchen Tagen standen die Autos komplett still. Fahrer verbrachten Tag und Nacht in ihren Fahrzeugen – ohne ausreichende Versorgung, ohne sanitäre Anlagen, und teils in großer Angst vor Diebstahl oder Gewalt.
Überlebenskampf auf der Straße: Was im Stau passierte
Improvisierte Märkte – und schockierende Preise
Einige Anwohner nutzten die Situation als lukrative Geschäftschance. Sie verkauften Wasser, Eier, Zigaretten und Snacks – oft zum 10-fachen Preis. Eine Flasche Wasser kostete plötzlich drei Yuan (ca. 0,40 US-Dollar), ein Ei zwei Yuan. Zigaretten wurden für fast acht US-Dollar pro Packung angeboten.
Nicht jeder war bereit zu zahlen – mit teils dramatischen Folgen: Es kam zu Konflikten, Diebstahl, sogar Raubüberfällen und Messerangriffen.
Lkw-Fahrer besonders betroffen
Am stärksten traf es die Lkw-Fahrer: Viele transportierten leicht verderbliche Waren wie Obst oder Gemüse. Sie konnten nicht umkehren – denn Benzin war knapp und teuer. Einige schliefen unter ihren Fahrzeugen, um Benzindiebe abzuwehren. Trotz der Entsendung von über 400 Polizisten blieb die Lage chaotisch – vor allem nachts.
Stau und Gesundheit: Das unterschätzte Risiko
Viele Fahrer litten unter Stresssymptomen: schwitzende Hände, Panikgefühle oder sogar das sogenannte Verkehrsstresssyndrom. In besonders schlimmen Fällen führt es zu irrationalem Fahrverhalten – eine gefährliche Reaktion auf Kontrollverlust im zähen Verkehr.
Internationale Vergleiche: War das der längste Stau der Welt?
Tatsächlich nicht: Laut Guinness World Records fand der längste Stau am 16. Februar 1980 in Frankreich statt. Auf der Strecke von Lyon nach Paris standen Fahrzeuge auf 175 Kilometern Länge – verursacht durch schlechtes Wetter und Reiseverkehr.
Die Reaktion der Behörden – und was daraus gelernt wurde
Lokale Behörden waren von der Situation überfordert. Laut damaligen Schätzungen sollte der Stau sogar einen Monat andauern. Die Versorgung der Fahrer mit Lebensmitteln, Wasser und Treibstoff war mangelhaft.
Die Ereignisse zeigten auf dramatische Weise, wie verletzlich auch hochmoderne Infrastrukturen sein können – wenn Planung und Kapazitäten mit dem Wachstum nicht mithalten.
Fazit: Der Preis des Fortschritts – Verkehrsinfarkt als Warnung
Chinas Mega-Stau ist mehr als nur eine kuriose Anekdote. Er steht sinnbildlich für ein globales Problem: Übermotorisierung ohne nachhaltige Verkehrskonzepte. Wenn Städte nicht konsequent auf Fahrgemeinschaften, öffentlichen Nahverkehr und Verkehrsmanagement setzen, drohen ähnliche Szenarien auch anderswo.
Wer sich über zehn Minuten Stau auf dem Weg zur Arbeit beschwert, sollte daran denken: Zwölf Tage im Auto, ohne Wasser, ohne Toilette, ohne Ausweg – das ist ein echter Verkehrsinfarkt.
Weiterführende Links:
China Daily – Traffic jam on Beijing-Tibet expressway (englisch)
BBC News – China traffic jam could last for weeks (englisch)
Bild: Pixabay